Verbesserung

„Der Gedanke, sich verbessern zu müssen, führt zwangsläufig zum Wahn, das "leben" verbessern zu sollen. Doch um etwas verbessern zu wollen, wird der negative Blick gebraucht, eine Negation, der Blick auf ein Noch-nicht, auf eine Katastrophe, auf das Minus. Menschen die also unbedingt ihren Wissenszuwachs als Verbesserung interpretieren wollen, müssen als logische Folge ihren Zustand vor dem neuen Wissen als Minus-Zustand sehen.“ (Noosomatik Bd.I-2, 16.Kapitel: "Einsicht und Erkenntnis" - anthropologische Anmerkungen; siehe auch in Bd. V III.3.3. Zur Entmythologisierung von Normen; und an anderen Stellen). Dazu der Professor für Philosophie (z. Zt. Uni Exeter, GB) Dr. Michael Hauskeller in "Die Menschenverbesserer" (in "Scheidewege", Jahresschrift für skeptisches Denken; Jahrgang 2011/2012, S.95-109; Zitate a.a.O. S. 107-109:

“In einem wenig bekannten Gedicht von 1772 („La Begueule") zitiert Voltaire zustimmend einen „italienischen Weisen", der behauptet habe, daß „das Bessere der Feind des Guten" sei. Ironischerweise wird dieses Zitat überraschend oft aus dem Kontext genommen und als Ermunterung zu ständiger Verbesserung mißverstanden: Nichts sei so gut, daß es nicht noch verbessert werden könne. Das Gute ist gerade gut genug und verglichen mit dem Besseren nicht einmal mehr gut, das heißt nicht wert, bewahrt zu werden. Das Bessere ist dann der Feind des Guten im selben Sinne wie das Gute der Feind des Schlechten ist. (Es gibt Dinge, denen man zu Recht feindlich gegenüber steht.) Das ist jedoch ganz und gar nicht das, was Voltaire sagen wollte. Obgleich er einräumt, daß sich durchaus einiges am Menschen verbessern lasse — im Hinblick auf Herzensgüte, Talente und Wissen — so rät er doch zur Vorsicht. Wir sollen keinen Luftschlössern nachjagen, denn glücklich sei der, der „an seinem Ort bleibt und auf das Acht gibt, was er hat" (vivre ä sa place, et garder ce qu'il a). Was sich in diesem scheinbar schlichten Rat ausdrückt, ist eine Anerkennung des Geschenkcharakters des Daseins und eine tiefe Wertschätzung des uns Gegebenen. Dieses Gegebene wird hier als absolut wertvoll im Sinne Kants verstanden, das heißt als einen Wert besitzend, der keinen Vergleich gestattet. Das bedeutet, daß die betreffenden Dinge nicht nur gut sind, weil gerade zufällig nichts besseres zur Hand ist oder weil es auch noch Schlechteres gibt. Vielmehr sind sie aus sich heraus gut, absolut eben. Das Bessere ist dann der Feind des Guten in dem Sinne, daß durch den Vergleich des Guten mit dem Besseren das Gute seine Erscheinung ändert und zum vergleichsweise Schlechteren mutiert. Wenn wir uns auf das Bessere ausrichten, das wir erreichen könnten, neigen wir dazu, das Gute zu vergessen, das uns bereits gehört. Wir vollziehen also einen Akt begrifflicher Entwertung, der dann wiederum die Forderung nach Verbesserung als gerechtfertigt erscheinen läßt. Der Optimismus im Hinblick auf die Zukunft geht einher mit einem Pessimismus bezüglich der Gegenwart. Ein solcher Pessimismus ist vielleicht angebracht. Der entscheidende Punkt ist aber, ob wir unsere Hoffnung auf die Zukunft setzen, weil wir die Gegenwart als verbesserungsbedürftig erkannt haben, oder ob wir vielmehr die Gegenwart nur deshalb als minderwertig ansehen, weil wir sie mit einer (weitgehend nur in der Phantasie bestehenden) Zukunft vergleichen, die in irgendeinem // nicht näher bestimmten Sinne „besser" ist. Die Art und Weise, wie heute oft zur Menschenverbesserung aufgerufen wird, läßt vermuten, daß eher letzteres zutrifft. Da werden neue wunderbare Erfahrungen beschworen, die den posthumanen Menschen angeblich erwarten und die alles, was wir heute kennen, als armselig und belanglos erscheinen lassen werden... Denn wenn alles, was uns heute als gut erscheint, nur solange für gut gelten kann, wie es nichts Besseres gibt - wenn es also nichts gibt, das einen absoluten Wert hat —, dann muß dasselbe auch für das gelten, was uns in der gepriesenen posthumanen Zukunft als gut erscheinen wird: es wird uns nur als gut erscheinen, weil wir noch nichts besseres kennen. Wozu sollen wir dann überhaupt unsere gegenwärtige Natur aufgeben? Es sei denn natürlich, daß, wie oft zuversichtlich erklärt wird, wir in unserer verbesserten Existenz sehr viel mehr Lust empfinden und somit mehr Freude am Leben haben werden als jetzt. Werden wir das aber wirklich? Warum sollten wir, wenn es uns doch heute nicht zu gelingen scheint, genug Freude am Leben zu haben? Warum sollten wir dann zufrieden sein, wenn wir es heute nicht sind?
Zufriedenheit hängt daran, daß man das sieht, was gut ist an dem, was einem zuteil wurde, und zwar nicht in einem relativen, sondern in einem absoluten Sinne. Als solcherart gut können wir etwa unser eigenes Dasein, unsere Talente und Fähigkeiten ansehen, aber auch das, was wir in unserer natürlichen und menschlichen Umwelt vorfinden: die Schönheit der Natur, die Menschen, die Musik und die Bücher, an denen wir uns erfreuen können, und vieles mehr. Ohne die Wertschätzung all dessen können wir nicht wirklich glücklich sein, da Glück in dem Bewußtsein wurzelt, daß es etwas objektiv Gutes gibt, also Dinge, die es tatsächlich wert sind, getan, begehrt und bedacht zu werden. Der Wunsch, alles zu kontrollieren und nicht nur die äußere Welt, sondern sich selbst neu zu entwerfen, ... (schaut) auf die Welt mit einer solchen Geringschätzung, daß uns alles Gute immer schon als potentiell Schlechteres erscheint."

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