Vielen fehlt Bewusstsein beim Töten am Bildschirm
Boom bei Computerspielen mit Gewalt-Themen / US Army will mit Action-Software Appetit auf Soldatenberuf machen
Von dpa-Mitarbeiter Florian Oertel
Gewalttätige Computerspiele boomen... Auf die Frage nach dem speziellen Reiz der rabiaten Spiele gibt es viele Antworten.
,,Es geht den Spielern um Herrschaft, ums Gewinnen und darum, Kontrolle auszuüben”, sagt Christine Schulz von der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) in Berlin... Viele Fans gewalttätiger Spiele haben Schulz zufolge den Wunsch und die Möglichkeit, ,,ein Held zu sein”.
Den Hintergrund für diesen Wunsch sieht die Kölner Psychologin Frauke Bosbach in den speziellen Lebensumständen der meist jugendlichen Spieler: ,,Sie kommen aus einer weitgehend ohnmächtigen Kindesposition, fühlen sich oft noch sehr schwach und wissen nicht, wie sie mit Konflikten umgehen können.” Für den Umgang mit Gewalt böten die rüden Spiele eine einfache Möglichkeit, sagt Bosbach, die sich intensiv mit dem Thema Gewalt unter Jugendlichen auseinander gesetzt hat. ,,Die Spieler sind in der Hierarchie oben, man kann ihnen nichts anhaben.”
Nach Auffassung von Tanja Witting, Mitarbeiterin des Forschungsschwerpunktes ,,Wirkung virtueller Welten” an der Fachhochschule Köln, geben die Spiele ihren jungen Fans außerdem die Gelegenheit, die Erwachsenenwelt zu provozieren...
Doch auch zahlreiche Erwachsene selbst sind fasziniert von virtuellen Welten, in denen sie keine Strafe fürchten müssen, wenn sie ihre Gegner mit Maschinenpistole oder Sturmgewehr erschießen. ,,Es sind in jedem Menschen Aggressionspotenziale, und die können abgebaut werden durch das Vernichten auf dem Bildschirm”, sagt Barbara Singer, Medienpsychologin aus Wien.
...Achilles, der auch im Gremium der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften in Bonn sitzt, ist überzeugt, dass die Spieler nur begrenzt wahrnehmen, was sie genau tun, wenn sie ihr virtuelles Gegenüber töten.
Christine Schulz ist derselben Ansicht: ,,Gerade Kinder kommen gar nicht auf die Idee, dass das Menschen sein könnten, für die sind das Pixelhaufen.” Auch Tanja Witting glaubt, dass sich die Spieler selbst nicht als gewalttätig wahrnehmen. Allerdings ist sie der Auffassung, dass Gewaltspiele bei bestimmten Menschen dennoch eine verrohende Wirkung haben können.
Wiesbadener Kurier, 16.09.2002, S. 26
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